Essen: In einem Jahr Kulturhauptstadt | Frankfurter Rundschau - Feuilleton
Kulturhauptstadt Ruhrgebiet
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Kulturhauptstadt Ruhrgebiet (Bild: dpa)
Essen. Mit einem Freudenfeuerwerk über Zeche Zollverein begann vor zweieinhalb Jahren der Traum des Ruhrgebiets von der Kulturhauptstadt Europas.
Inzwischen stehen schon die Hinweisschilder an den Autobahnen, in der Essener Ruhr 2010-Zentrale arbeiten an die 50 Menschen am Programm. Noch ein Jahr, dann beginnt das große Kulturfest in den 53 Städten der einst grauen Industrieregion.
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Es hat lange vor der Eröffnungsfeier bereits einen Bauboom ausgelöst. Angefeuert vom EU-, Bundes- und Landesfördersegen entstehen von Hagen, Dortmund und Duisburg bis Essen neue Museen und Kulturzentren mit zum Teil hohen zweistelligen Millioneninvestitionen. Die jahrzehntelang immer wieder aufgeschobene Sanierung großer Bahnhöfe in der Region wurde endlich angepackt. Derzeit ist der Essener Hauptbahnhof eine Komplettbaustelle bei laufendem Betrieb, auf der Ortsfremde manches Gleis nur mit Mühe finden. Mitten in der aufziehenden Wirtschaftskrise bekommt das Ruhrgebiet einen kräftigen neuen Anstrich und faszinierende kulturelle Plätze wie das spektakulär erweiterte Museum Küppersmühle am Duisburger Innenhafen oder das "Dortmunder U".
Deutlich werden aber auch die Grenzen und Probleme der Region: Zahlreiche der 53 Kulturhauptstädte sind völlig überschuldet, auch die Bewerbungsführerin Essen. Da viele Städte seit Jahren im Nothaushalt agieren, dürften sie sich eigentlich gar nicht mit freiwilligen Zusatzausgaben und eigenen Projekten beteiligen. Das Land Nordrhein-Westfalen legte eigens ein 10-Millionen-Euro- Sonderprogramm auf, damit die Gastgeber beim Fest mit eigenen Projekten überhaupt vorkommen. In Duisburg und vor allem in Oberhausen will die Finanzaufsicht sogar den Bau von Besucherzentren verhindern, weil den Städten das Geld fehle, die Einrichtungen nach dem Ende des Festjahres weiter zu betreiben.
Schwierigkeiten wird wohl auch die Verknüpfung der weit auseinander liegenden Ziele auf einem international üblichen Niveau machen. Eine grundlegende Erneuerung des Nahverkehrsangebots mit zusätzlichen Linien wie in anderen Kulturhauptstädten war nicht möglich. Wer zum Herz des Festes auf Zollverein will, rumpelt mit der Straßenbahn vom Hauptbahnhof aus gut 20 Minuten durch die halbe Stadt. Künftig soll eine Bahnhaltestelle im Essener Norden stärker angefahren werden. Manche Punkte auf der Festkarte erreicht der Kulturhungrige nur mit mehrfachem Umsteigen plus Fußmarsch - und keineswegs alle Haltepunkte sind auch für Rollstuhlfahrer oder Kinderwagen ausgelegt.
Kritik daran schreckt Ruhr.2010-Geschäftsführer Fritz Pleitgen wenig. Auch wenn die großen Konzerne angesichts drohender Zukunftsszenarien ihr Geld zusammenhalten und die Sponsorensuche zäher verläuft als erhofft, sagt er: "Je stärker der Gegenwind, desto besser der Auftrieb." Den hat der Ex-WDR-Intendant zum Beispiel bei der begeisterten Teilnahme der Bevölkerung mit eigenen Projektvorschlägen ausgemacht. Über 2200 Ideen wurden eingereicht, daraus wählte das Ruhr.2010-Team bisher 150 Projekte, rund 50 sollen noch folgen.
Nachhaltigkeit und Vernetzung der ganzen Region sind wichtige Kritierien bei dem Festival mit einem geplanten 63-Millionen-Euro- Budget. So sollen etwa die wichtigsten Bergbauschächte der einstigen Kohleregion als "Schachtzeichen" mit großen Ballons markiert und aus dem Weltraum fotografiert werden. Die sechs Ruhrgebietstheater schließen sich zu einem gemeinsamen Homer-Projekt zusammen, die Verkehrsschlagader des Ruhrgebiets, die A 40, wird ein Wochenende lang für Autos gesperrt und auf knapp 60 Kilometern für Kulturangebote aller Art vom Dönerstand bis zum Stegreiftheater geöffnet.
Im Sommer erwarten die Organisatoren einen ersten Höhepunkt, wenn an einem Tag die rund 300 000 Amateur-Chormitglieder der Region und alle, die sonst Lust haben, zum gemeinsamen Singen aufgerufen werden. Die kollektive Sangeslust gipfelt in einem 65 000-Stimmen-Konzert im Fußballstadion auf Schalke.
Dass das manchen zu platt ist, liegt auf der Hand. Kritik kam gleich doppelt aus der eher traditionellen Kunstszene und von Freien Künstlern, die sich bei den vernetzten Großprojekten nicht ausreichend berücksichtigt sehen. Doch Angebote wie Symphonie-Zyklen großer Komponisten habe jedes Festival, sagt Pleitgen. Außerdem umfasst das Programm natürlich auch stillere Projekte. Von seinem Ziel will sich der in Duisburg geborene Festivalmacher nicht abbringen lassen: "Wir werden eine Berichterstattung haben wie wir sie in Friedenszeiten über das Ruhrgebiet noch nicht hatten." (dpa)
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