Freitag, 21. November 2008

Kulturhauptstadt soll Problemgebiete erreichen

Kulturhauptstadt soll Problemgebiete erreichen - sueddeutsche.de

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Essen (dpa) - Das Ruhrgebiet als Kulturhauptstadt Europa 2010 muss nach Aussage von Ruhr.2010-Chef Fritz Pleitgen auch die sozialen Brennpunkte der Region erreichen.

«Wir können nicht die Kulturhauptstadt Europas im Saal stattfinden lassen. Wir müssen dahin gehen, wo die Probleme sind und wo die Zukunft liegt», sagte der frühere WDR-Intendant Pleitgen (70) am Freitag in Essen in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa. Sein Ziel sei, dass sich nicht nur die Menschen, die ohnehin schon Theater, Museen und Konzerte besuchten, im Kulturhauptstadtjahr 2010 wiederfänden. «Ich möchte, dass dann die Sprecher in den Fußballstadien die Fans in der Kulturhauptstadt Ruhrgebiet willkommen heißen.»

Darauf sei das Konzept der Ruhr.2010 ausgerichtet. Die geplanten Programme wie der «Day of Song», an dem sich 300 000 Chorsänger der Region beteiligen sollen, oder die «Schachtzeichen», bei denen frühere Kohleschächte des Ruhrgebiets mit Ballons markiert und aus großer Höhe fotografiert werden, seien kein Sammelsurium, wie manche Kritiker meinten. «Ich kann nur sagen: Schaut genau hin. Hinter jedem Projekt steckt die Idee des Wandels. Deshalb nutzen wir die Halden, um sie zu Kunstwerken zu machen. Deswegen die Emscher-Insel, die von einer Industriedeponie zu einer großen Kunstinsel werden soll.»

Kritik sei willkommen. «Wunderbar, dass gestritten wird. Dann wird Adrenalin frei und es kommt zu sehr nützlichen Ideen.» Aber was er bis jetzt aus der Kritik herauslese, belege eine «sehr konventionelle und rückwärtsgewandte Vorstellung von einer Kulturhauptstadt Europas». Ein Zyklus mit den Symphonien von Gustav Mahler, so sehr er sie auch genieße, sei Standard, und ein Kulturhauptstadt-Programm brauche mehr als Standard. «Wenn Mahler, dann muss dieser wunderbare Komponist von der ganzen Region, allen 5,3 Millionen Menschen, wahrgenommen werden.» Deshalb werde seine achte Symphonie in der «Kraftzentrale» in Duisburg, eine ehemalige Industrieanlage, mit mehr als 2000 Mitwirkenden aufgeführt. «Das wird ein Paukenschlag, der durch die dicken Wände in die ganze Region donnern wird.»

Vorwürfe, das Programm bestehe aus vielen solchen Paukenschlägen mit zahlreichen Mitwirkenden und Zuschauern, wies Pleitgen zurück. «Wollen wir denn hier Maulwurfshügel errichten? Schauen Sie sich die Kriterien der Kulturhauptstadt Europas an, ausgegeben von der Europäischen Kommission. Diese Kriterien versuchen wir zu erfüllen, und wir versuchen unserem Leitmotiv "Wandel durch Kultur, Kultur durch Wandel" gerecht zu werden.»

Er bleibe bei seinem Konzept. «Glauben Sie nicht, dass wir klein beigeben - weil wir von unserer Idee überzeugt sind. Wir gehen volles Risiko.» Das zeige auch der Plan, die Eröffnung nicht im Saal, sondern im Januar 2010 im Freien vor der Essener Zeche Zollverein zu feiern. Seine Entscheidung, die Leitung der Ruhr.2010 zu übernehmen, habe er noch nicht bereut, sagte Pleitgen. Wenn etwas schwierig werde, mache es ihm erst richtig Spaß: «Man kann da weiter mit verstärktem Enthusiasmus bei mir rechnen. Je stärker der Gegenwind, desto besser der Auftrieb!»

Gespräch: Rolf Schraa und Jürgen Hein

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