Donnerstag, 16. Oktober 2008

Das Ruhrgebiet als Kulturhauptstadt: Ruhr.2010

Das Ruhrgebiet als Kulturhauptstadt: Ruhr.2010 - artnet Magazin


Wandel durch Kultur – Kultur durch Wandel

Stefan Kobel

14. Oktober 2008

Noch 444 Tage, dann wird mit dem Ruhrgebiet eine Region Kulturhauptstadt Europas, die landläufig eher mit anderen Dingen in Verbindung gebracht wird, Stichwort Strukturschwäche. Aus dieser Schwäche, die mit dem Zechensterben seit Ende der 1970er Jahre einherging, versucht der Kohlenpott, der längst keiner mehr ist, neue Kraft zu schöpfen. Aus Industriebrachen wurden Museen und Kulturzentren, die zum Teil in den Sozialsystemen abgestellten Gastarbeiter bilden in der zweiten, dritten und vierten Generation ein multikulturelles Kreativpotential, aus dem es zu schöpfen gilt.

Genau das soll RUHR.2010 tun. Das ist kein leichtes Unterfangen, denn die finanziellen Ressourcen sind so knapp, wie man das hier seit Jahrzehnten gewohnt ist. Rund 52 Millionen Euro stehen bisher an zugesicherten Mitteln zur Verfügung. Sie stammen von Bund, Land, Regionalverband, der Stadt Essen, dem Initiativkreis Ruhr und nur zum kleinsten Teil (1,5 Mio. Euro) von der EU. Die Stadt Linz, Kulturhauptstadt im nächsten Jahr, kann über einen vergleichbaren Etat verfügen, hat aber nur etwa so viele Einwohner wie Herne, zusammen mit den 52 anderen Städten und Gemeinden bringt es das Ruhrgebiet auf 5,7 Millionen.

Aus der Not versuchen die Macher eine Tugend zu machen und setzen stark auf Bürgerbeteiligung, wie es ja auch dem Gedanken der Veranstaltung entspricht. Vor allem aber sollen die Aktivitäten des Jahres 2010 als eine Art Initialzündung fungieren, die dem Ruhrgebiet mangels industrieller Alternativen ausreichend innovativen Schub geben, um den Strukturwandel zu meistern. So sah es die EU-Expertenjury ebenfalls, die betonte, „dass der Wandel der einst größten Industrieregion und der größten „Kohlenzeche“ Europas zu einer lebendigen Metropole der Zukunft durch den „Wandel durch Kultur“ zu einem Symbol für die Rolle werden kann, den die Kultur in jeder europäischen Stadt einnehmen sollte. Und das Ruhrgebiet könnte zu einem Symbol für andere Ballungszentren in Europa werden, denen ähnliche Veränderungen bevorstehen.“ Da könnte man sich mit Istanbul zusammentun, neben dem ungarischen Pécs die dritte Kulturhauptstadt des Jahres 2010. Das scheint bisher allerdings nicht in wesentlichem Umfang passiert zu sein. Unter den über 150 Projekten trägt „Marxloh.Istanbul“ den Namen lediglich im Titel. Überhaupt scheint man sich eher mit sich selbst zu beschäftigen als beispielsweise mit der Konkurrenz, die ja auch als Partnerschaft hätte begriffen werden können.

Die Herausforderung ist gewaltig, vor allem dadurch, dass die Aufgabenstellung weit über sich hinausweist: Nicht nur für die Region soll auf Dauer etwas bewirkt werden, gleich für ganz Europa soll hier exemplarisch Zukunft generiert werden. Ein Instrumentarium für diese gesamtgesellschaftliche Operation muss erst noch gefunden werden. Entsprechend angestrengt wirkten die Versuche der je einen Bereich verantwortenden Aufsichtsratsmitglieder auf der ersten Pressekonferenz der RUHR.2010 GmbH, die von Fritz Pleitgen und Oliver Scheytt geführt wird. Wer auf seinem Spielschein die Begriffe „Zukunftslabor“, „Kreativwirtschaft“, „Cluster“, „Nachhaltigkeit“ und „Migrationshintergrund“ (am schönsten in der Form „migrationshintergründige“) notiert hätte, wäre beim Bullshit-Bingo überlegener Sieger gewesen. Eine ähnliche Ratlosigkeit offenbarte der fünfeinhalbminütige Imagefilm, der in einer Ästhetik zwischen Eiscreme-Werbung im Kino und Reklame für Biermixgetränke verkitschte Ruhrpottromantik in vermeintlich zeitgemäßem Gewand vermittelte. Über die Kosten für dieses aufwändig produzierte Werk wollte sich Fritz Pleitgen auf Nachfrage nicht äußern. Möglicherweise wird darüber in einem der zahlreichen Kontrollgremien noch diskutiert werden. Von denen existiert nämlich nicht nur eines. Fast jeder Geldgeber hat laut Aussage des Pressesprechers Marc Oliver Hänig eigene Kontrolleure. Allzu viel zu verprassen gibt es ohnehin nicht. So steht für das gesamte Team lediglich ein Dienstfahrzeug zur Verfügung. Und das wurde gesponsert.

An der Stelle hapert es bisher am meisten: Mit RWE und E.on sind erst zwei Hauptsponsoren gefunden worden, gewünscht sind weitere sechs. Auch wenn zehn der 100 größten deutschen Unternehmen ihren Sitz in Essen haben, dürfte es bei der aktuellen Wirtschaftslage nicht ganz einfach sein, weitere Mittel über die bisher eingeworbenen 10 Millionen Euro hinaus locker zu machen. So könnte die Deutsche Bahn, von der Vertreter im Publikum saßen, nach dem abgesagten Börsengang derzeit andere Sorgen haben.

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